Fabians Blog

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Wie umgehen mit „Volksgesetzen“?

Die Diskussion um den Umgang mit einem Gesetz, welches vor 10 Jahren von den Berliner:innen beschlossen wurde, führt grundsätzlich zu der Frage, wie man mit Beschlüssen der Wahlberechtigten umgeht.

Auf kommunaler Ebene finden sich hier meist entsprechende Fristen. Beispielsweise ist in Baden-Württemberg der Beschluss eines gültigen Bürgerentscheids drei Jahre lang bindend. Manche fassen das als Ablaufdatum auf. Juristisch mag das so sein. Aber politisch bewegt man sich auf dünnem Eis, wenn das das einzige Argument ist, eine neue Beschlusslage herzustellen.

Auf Landesebene sieht das anders aus. Dort reden wir über Gesetze, und nicht über Ratsbeschlüsse. Ein Gesetz, das per Volksabstimmung angenommen wurden (=“Volksgesetz“), hat keinen temporären Schutz. Es kann theoretisch am Tag nach In-Kraft-Treten vom Parlament wieder geändert werden. Verfassungsrechtlich bleibt der Konflikt zwischen Parlamentsmehrheit und Bevölkerungsmehr ungelöst. Wohl auch deshalb, weil es sich eher um ein politisches als ein juristisches Problem handelt.

Wenn sich Sachverhalte oder Bevölkerungseinstellungen ändern oder die öffentliche Debatte zeigt, dass Handlungsbedarf besteht, kann wenig dagegen sprechen, eine vom Volk beschlossene Regelung wieder zu ändern. Diese Einschätzung wird dann aber Teil einer politischen Auseinandersetzung. Auf der einen Seite diejenigen, die Änderungsbedarf sehen, und denen, die das nicht tun.

Grundsätzlich ist das Teil der politischen Entscheidungsfindung. Kann die Regierung so viel Unterstützung gewinnen und andere davon überzeugen? Bürgerbeteiligung kann hierbei helfen, wird wohl aber nicht hinreichend sein.

In der direkte Demokratie gibt es mehrere Verfahren, wie man dieses Problem lösen könnte. Die Vorschläge müssen dabei eine wesentliche Unterscheidung treffen: Soll die Regelung nur für „Volksgesetze“ gelten, oder spielt das keine Rolle?

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Tempelhofer Feld – Wie „kippt“ man eine Volksabstimmung (nicht).

Bildquelle: Oliver Groß, CC BY-NC-ND 2.0, https://flic.kr/p/od9R29

Kürzlich bin ich über eine Berichterstattung der TAZ gestoßen, die mich als „Fachmann“ für Bürgerbeteiligung aufhorchen ließ. „Alles Schlechte kommt von oben“ stand da. Und im Teaser-Text: „Die schwarz-rote Koalition will das Tempelhofer Feld bebauen. Sie versucht, dem Vorgehen mit Geld einen demokratischen Anstrich zu geben.“ Was hat die Berliner Regierungskoalition vor?

Die Volksabstimmung über die Bebauung des Tempelhofer Feldes war eines der Abstimmungen in Berlin, die weit über die Hauptstadt hinaus Aufsehen erregte (neben zum Beispiel die Volksabstimmung über die Enteignung von Wohnungen). Darin hatten die Berliner:innen beschlossen, dass das Feld nicht bebaut und frei gelassen werden soll. Eines Vorab: Mir ist das gleich. Ich will mich da weder auf der einen, noch auf der anderen Seite positionieren.

Diese strikte Vorgaben, dass weder das Feld komplett noch am Rand bebaut werden darf, will die Regierungskoalition der Hauptstadt kippen. Dazu hatten sich die beiden Koalitionspartner bereits in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt (S. 53). Juristisch gesehen, spielt es keine Rolle, ob ein Gesetz per Volksabstimmung oder per Parlamentsentscheidung beschlossen wurde. Alle Gesetze sind gleich. Und können demnach auch wieder verändert werden. Theoretisch auch ein Tag nach deren In-Kraft-Tretens. Politisch hat eine Volksabstimmung mehr Gewicht. Änderungen am Wahlrecht sollten ebenfalls möglichst mit der Zustimmung der Opposition geändert werden – oder zumindest eines Teils der Opposition. Auch wenn verfassungsrechtlich eine „normale“ Mehrheit ausreicht.

Es ist auch politisch legitim, Gesetze zu ändern, die per Volksabstimmung beschlossen wurden. Solche Gesetze haben keine Ewigkeitsgarantie. Sachverhalte und auch Haltungen in der Mehrheit der Bevölkerung können sich ändern. Deshalb ist es auch unredlich, wenn die TAZ von „Missachtung des Volkswillens“ spricht. So einfach ist es nicht.

Grundsätzlich ist es verständlich, dass sich die Regierung in Berlin etwas ausdenken muss, wenn sie den Beschluss rückgängig machen will. Sie hat sich zwei Dinge überlegt: ein Bürgerforum/-rat (=Bürgerwerkstatt) und eine Art Volksabstimmung. (Quelle: PM der Senatsverwaltung vom 5.12.23)

Bürgerwerkstatt

Die Koalition plant, eine Bürgerwerkstatt mit 500 Teilnehmenden einzusetzen. Die Teilnehmenden werden zufällig aus dem Melderegister gezogen und sollen „repräsentativ“ sein. Ihre Aufgabe:

  • Sie sollen die Eckpunkte für eine Auslobung eines internationalen stadt- und freiraumplanerischen Ideenwettbewerbs zur Zukunft des Tempelhofer Feldes erarbeiten.
  • Sie sollen die Beiträge der am Ideenwettbewerb Teilnehmenden diskutieren.

Die Hauptfrage „Soll des Tempelhofer Feld überhaupt in der einen oder anderen Art bebaut werden?“ wird demnach nicht gestellt. Das ist für viele Berliner:innen aber die entscheidende Frage. Und auch entscheidend, mit Blick auf eine mögliche Änderung des Gesetzes. Sollte sich die Senatsverwaltung in diesem Punkt nicht noch korrigieren, wird die Bürgerwerkstatt dieses Manko mit sich herum tragen. Zudem: Viel Spaß beim Durchsetzen dieser Vorgabe, wenn man vor 500 Leuten sitzt.

Apropos 500: Aus der falschen Annahme, ein Bürgerforum/ein Bürgerrat müsse „repräsentativ“ zusammen gesetzt sein, kommt dann auch so eine Zahl zustande. In der Sozialwissenschaft kann man gerade mal von „einer repräsentativen Umfrage“ sprechen, wenn 1.000 Menschen mitgemacht haben. Und auch dann muss man noch mit diversen Methoden prüfen, ob dem tatsächlich so ist.

Nach welchen Kriterien soll man denn Repräsentativität festlegen? Das Land BW empfiehlt: Geschlecht, Alter, Wohnort, Bildungsabschluss, Migrationshintergrund. Diese Auswahl stellt aber im sozialwissenschaftlichen Sinne nur eine sehr begrenzte Repräsentativität her. Zusätzlich gäbe es noch Einkommen (korreliert aber mit Bildungsabschluss), Beruf und Einstellungen im Bereich Gesellschaft, Lebensstil oder Politik. Kurzum: Das ist mit 500 Leuten nicht zu schaffen. Auch nur schwerlich mit 1.000. Bereits die Auswahl der Teilnehmenden aus den Rückmeldungen wird mit jedem zusätzlichen Unterscheidungskriterium komplexer. Deshalb bildet man bei Bürgerräten auch nicht die Bevölkerung repräsentativ ab, sondern nur ihre Vielfalt. Man setzt auf den Zufall.

Daneben machen 500 Teilnehmende den Dialogprozess innerhalb der Bürgerwerkstatt sehr aufwendig. Schon alleine 500 Leute zu koordinieren, ist sehr aufwendig (und damit teuer). Idealerweise kommt jede:r zu Wort. Dazu werden kleine Arbeitsgruppen gebildet. Mit sechs bis maximal zehn Personen je Arbeitsgruppe funktioniert das. Bei mehr, bleiben die Stillen still. Grundsätzlich macht es Sinn auch diese Gruppen zu moderieren. Bei 500 Teilnehmenden braucht es also mindestens 50 Gruppen mit 50 Untermoderator:innen. Überlässt man die Gruppenmoderation einzelnen Teilnehmenden kann das auch gelingen. Aber wirklich gewährleisten kann man es nicht.

Fazit: 500 Leute sind viel zu viel. 80 würden den Zweck auch erfüllen. Die thematische Vorgabe, nicht über das Ob zu sprechen, degradiert die Bürgerwerkstatt zur Alibi-Veranstaltung. Stärker wäre es, der Kraft der eigenen Argumente zu vertrauen. Es zuzulassen, dass das Ergebnis auch sein kann: Nein, wir wollen es so belassen.

Volksabstimmung/-befragung

Aus der Reihe der Berliner SPD kommt ein Vorstoß, dem Abgeordnetenhaus von Berlin, die Möglichkeit zu geben, eine Volksabstimmung anzusetzen. Dazu beschlossen sie auf ihrer Fraktionsklausur:

Aus Respekt vor dieser Volksgesetzgebung schlagen wir deshalb eine Regelung vor, wonach das Parlament bei wesentlichen Änderungen eines Volksgesetzes beschließen kann, den Volksgesetzgeber über diese Änderung entscheiden zu lassen. Darüber hinaus schlagen wir eine Regelung vor, dass das Abgeordnetenhaus ferner beschließen kann, einzelne andere, zu bestimmende, zu seiner Zuständigkeit gehörende, Fragen einem Volksentscheid zu unterbreiten.

Resolution der SPD-Fraktion vom 27.1.2024

Die SPD macht es sich hier eigentlich viel zu kompliziert. Rechtlich gibt es keine „Volksgesetze“. Mit Änderungsgesetzen werden oftmals Worte oder Teilsätze anderer Gesetze verändert. Insofern hätte man solche Einschränkungen theoretisch dann überall verstreut. Und was heißt „wesentliche Änderungen“ und dann auch „beschließen kann“. Vielleicht meint die Opposition, die Änderung, die man nun ohne Volksabstimmung beschlossen hat, sei wesentlich. Am Ende produziert die SPD mit ihrem Vorschlag ein juristisch wie politisch angreifbares Konstrukt. Es würde auch einfach ausreichen, dem Abgeordnetenhaus die Möglichkeit zu geben, selbst eine Volksabstimmung anzusetzen. Unabhängig davon, ob man nun ein „Volks-“ oder Parlamentsgesetz ändern will. Dann bleibt nämlich die Frage, ob eine Änderung „wesentlich“ ist eine politische und keine rechtliche.

Alternativ kann die Regierungskoalition auch einfach nach dem Verfahren das Tempelhofer Feld-Gesetz ändern. Und dann haben die Berliner:innen wieder die Möglichkeit, ein Volksbegehren zu starten. Nachteil: Das dauert lang.

Der Landesverband von Mehr Demokratie e.V. schlägt in dem Zusammenhang ein „fakultative Referendum“ vor:

Wenn das Abgeordnetenhaus ein im Volksentscheid beschlossenes Gesetz, wie das Tempelhofer Feld-Gesetz, ändere, könnten die Berlinerinnen und Berliner in einem verkürzten Verfahren mit der Sammlung von 50.000 Unterschriften einen Volksentscheid darüber verlangen.

Mitteilung von Mehr Demokratie e.V., LV Berlin-Brandenburg

Ob das tatsächlich wieder nur bei „Volksgesetzen“ gelten soll, oder nicht auch generell für jedes beschlossene Gesetz gelten kann, lasse ich mal dahin gestellt.

Neben der Volksabstimmung von oben wäre das zumindest ein weiterer gangbarer Weg. Unabhängig vom konkreten Verfahren müssen neue Instrumente der direkten Demokratie in Berlin aber per Volksabstimmung eingeführt werden (Art. 100).

Während die SPD-Fraktion in ihrer Resolution klar von Volksentscheiden spricht, wird sie von der TAZ zitiert: Diese „konsultative Volksbefragungen“ könnten einfachgesetzlich eingeführt werden. Irgend jemand verwechselt da was. Eine Befragung, die das Volk konsultiert, kann nicht verbindlich sein. Mehr Demokratie weist hier auf das Urteil des bayerischen Verfassungsgerichtshofs hin. Der hatte den Plänen der Staatsregierung einen Strich durch die Rechnung gemacht, nachdem die solche Volksbefragungen einführen wollte.

Die CDU-Fraktion hatte sich in ihrer Klausur von Ende November 2023 ebenfalls mit der Fragen einer nochmaligen Abstimmungen befasst. Der Tagesspiegel zitiert den Fraktionsvorsitzenden Stettner, der davon ausgeht, dass es lediglich eine rechtlich nicht bindende Befragung geben könne. Daher kommt also die Debatte um eine Volksbefragung. Und der Weg über eine Verfassungsänderung ist eben mit der Unwägbarkeit einer Volksabstimmung verbunden.

Fazit: Der SPD-Vorschlag ist unnötig komplex. Es gibt einfachere Wege, die zu einer Volksabstimmung führen könnten. Die Regierungskoalition wird juristisch scheitern, wenn sie „konsultative Volksbefragungen“ einführen will. Am Ende muss sie den Berliner:innen ein attraktives Angebot in einer Volksabstimmung machen, wenn sie eine Volksabstimmung über das Tempelhofer Feld herbeiführen möchte.

Ein Ausweg bleibt: Sollte das alles nicht fruchten, könnten CDU und SPD auch selbst ein Volksbegehren starten. Das wäre zwar politisch schräg, aber verfassungsrechtlich einwandfrei möglich.

Atomkraft ist keine Lösung, sie ist ein Problem

Bild eines Atomkraftwerks aus dessen Kühltürmen Wasserdampf aufsteigt. Das Dampf wird von der Sonne angestrahlt.
Quelle: FarbenfroheWunderwelt, https://flic.kr/p/dKVLmd, CC-BY 2

Endlich ist es soweit: Die letzten Atomkraftwerke werden abgestellt. Tschernobyl hat uns gezeigt, wie gefährlich Atomkraft ist. Mit Fukushima zeigte sich, dass auch in hoch-technisierten und modernen Gesellschaften eine Havarie nicht ausgeschlossen ist. In beiden Fällen sind Landstriche für Jahrzehnte für den Menschen nicht mehr nutzbar. Atomkraft wird häufig hochgeschrieben als die Technologie, die uns die Energiewende für mehr Klimaschutz bescheren würde. Das hört man auch von Personen, die sich für Klimaschutz einsetzen. Man hätte erst aus der Kohle und dann aus der Atomkraft aussteigen sollen. Atomkraft ist aber nicht nur gefährlich, sondern auch teuer im Bau und Betrieb. Sie emittiert mehr CO2 pro kWh als Erneuerbare. Sie behindern durch ihre Funktionsweise eine sinnvolle Integration in ein Stromnetz, dass mit Erneuerbaren funktionieren soll. 

  1. Atomstrom ist teuer.

Eine kWh-Atomstrom kosten 34 Cent. Und da sind die Kosten der Endlagerung nicht mal richtig eingepreist. Strom aus Wind und Sonne kostet zwischen 6 und 11 Cent. 

  1. Atomstrom ist nicht CO2-arm.

Atomkraft hilft uns nicht den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Das Bundesumweltamt führt aus, dass Atomkraft im Schnitt 12 Gramm CO2-Äquivalent pro kWh ausstößt. Je nach Berechnungsart kommt man dabei auf 3,9 oder sogar 110 Gramm. Grund der Unsicherheit ist, dass der CO2-Ausstoß für den Uranabbau und das Endlager nicht gesichert sind. (Quelle). Windkraft-Anlagen emittieren zwischen 7,3 und 10,6. Im günstigsten Fall 5,2, im schlechtesten 15,6. PV-Anlagen schneiden schlechter ab. Aber auch nur, wenn man den günstigeren Ausstoß bei Atomkraft annimmt.

  1. AKW müssen laufen.

Ein Atomkraftwerk kann seine Leistung nicht beliebig hoch und runter stellen. Vor allem aus betriebswirtschaftlicher Sicht. Das heißt, durch ihre Funktionsweise reservieren sie sich eine Grundlast und verdrängen die EE.

  1. Endlager 

Ein Atomendlager muss erst noch gefunden werden. Dann muss es gebaut werden. Dann muss das alles eingelagert und abgesichert werden. Erscheint mir eine Jahrhundertaufgabe. Und danach liegt das Zeug dort und strahlt für eine Million Jahre. Vor einer Millionen Jahre gab es den Menschen noch gar nicht. 

  1. Atomkraft wird selbst zum Opfer des Klimawandels

Was Frankreich blüht, kommt auch auf uns zu. Dort war nicht nur der letzte Sommer sehr trocken, sondern auch der Winter ist wasserarm. Wir müssen einfach davon ausgehen, dass viele europäische AKW sowohl im Sommer als auch zu anderen Jahreszeiten nicht oder nur gedrosselt zur Verfügung stehen.

  1. „Andere steigen in Atomkraft ein oder bauen neue Meiler“

Frankreich und Finnland bauen neue moderne Reaktoren. Die Kosten gehen jeweils in den zweistelligen Milliardenbereich. Laut französischen Rechnungshof kostet Flamanville 3 wohl 19 Mrd. Euro. Der Bau läuft seit 2007. Inbetriebnahme nicht vor 2024. Geplant war 2012. Finnland nimmt den neuen Meiler derzeit in Betrieb. Bauzeitverzögerung und Kostensteigerung inklusive. Blick man auf den Anteil des weltweit produzieren Stroms, ist hier der Anteil der Atomkraft kontinuierlich gesunken. 1996 lag er bei 17,5 Prozent, heute unter 10. Laut Wikipedia sind mehr Länder bislang ausgestiegen, als wieder eingestiegen.

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