Die Diskussion um den Umgang mit einem Gesetz, welches vor 10 Jahren von den Berliner:innen beschlossen wurde, führt grundsätzlich zu der Frage, wie man mit Beschlüssen der Wahlberechtigten umgeht.

Auf kommunaler Ebene finden sich hier meist entsprechende Fristen. Beispielsweise ist in Baden-Württemberg der Beschluss eines gültigen Bürgerentscheids drei Jahre lang bindend. Manche fassen das als Ablaufdatum auf. Juristisch mag das so sein. Aber politisch bewegt man sich auf dünnem Eis, wenn das das einzige Argument ist, eine neue Beschlusslage herzustellen.

Auf Landesebene sieht das anders aus. Dort reden wir über Gesetze, und nicht über Ratsbeschlüsse. Ein Gesetz, das per Volksabstimmung angenommen wurden (=“Volksgesetz“), hat keinen temporären Schutz. Es kann theoretisch am Tag nach In-Kraft-Treten vom Parlament wieder geändert werden. Verfassungsrechtlich bleibt der Konflikt zwischen Parlamentsmehrheit und Bevölkerungsmehr ungelöst. Wohl auch deshalb, weil es sich eher um ein politisches als ein juristisches Problem handelt.

Wenn sich Sachverhalte oder Bevölkerungseinstellungen ändern oder die öffentliche Debatte zeigt, dass Handlungsbedarf besteht, kann wenig dagegen sprechen, eine vom Volk beschlossene Regelung wieder zu ändern. Diese Einschätzung wird dann aber Teil einer politischen Auseinandersetzung. Auf der einen Seite diejenigen, die Änderungsbedarf sehen, und denen, die das nicht tun.

Grundsätzlich ist das Teil der politischen Entscheidungsfindung. Kann die Regierung so viel Unterstützung gewinnen und andere davon überzeugen? Bürgerbeteiligung kann hierbei helfen, wird wohl aber nicht hinreichend sein.

In der direkte Demokratie gibt es mehrere Verfahren, wie man dieses Problem lösen könnte. Die Vorschläge müssen dabei eine wesentliche Unterscheidung treffen: Soll die Regelung nur für „Volksgesetze“ gelten, oder spielt das keine Rolle?

Nur bei „Volksgesetzen“

Eigentlich gibt es keine „Volksgesetze“. Diese Unterscheidung müsste der Gesetzgeber erst einführen. Verfassungsrechtlich könnte man wohl argumentieren, dass dies grundlegenden Annahmen der Verfassungsgeber widerspräche. Die ursprüngliche Idee ist, Parlamentsgesetzgebung und Volksgesetzgebung stehen gleichberechtigt nebeneinander. (Der einzige Unterschied ist, dass über bestimmte Inhalte keine Abstimmung stattfinden kann. Zum Beispiel über Besoldungs- oder Abgabengesetze.) Das Ergebnis, das verabschiedeten Gesetze, ist aber juristisch gleichwertig und gleichberechtigt. Angenommen man führt diese Unterscheidung juristisch ein, wären zwei Verfahren vorstellbar.

Ein „obligatorisches Referendum“ oder ein „fakultatives Referendum“:

Möchte das Parlament ein Gesetz ändern, deren Inhalt durch ein „Volksgesetz“ beschlossen wurde, muss es dem Volk diese Änderung zwingend vorlegen („obligatorisches Referendum“). Der Nachteil einer solchen strikten Regel wäre, dass jede Änderung zu einer Volksabstimmung führen müsste. Selbst wenn es sich nur um redaktionelle Änderungen handelt. Es sind auch Änderungen denkbar, die sich zwingend aus EU- oder Bundesrecht ergeben. Dies müsste man dann ebenfalls abstimmen, oder abweichend regeln.

Alternativ könnte das Parlament auch ein Änderungsgesetz beschließen und danach beginnt eine Frist zu laufen. In dieser Frist können dann Unterschriften gegen diese Änderung gesammelt werden. Das wäre das fakultative Referendum. Das schlägt der Verein Mehr Demokratie in Berlin für diesen Fall auch vor. Eine entsprechende Regelung gibt es auch in Hamburg.

Keine Unterscheidung in „Volks-“ und Parlamentsgesetze

Will man dies Unterscheidung zwischen Volks- und Parlamentsgesetze nicht treffen, braucht es einen breiteren Ansatz. Eine Möglichkeit wäre, das „fakultative Referendum“ einzuführen, das dann aber bei allen Parlamentsgesetzen gilt. Grundsätzlich wäre es dann möglich, gegen jedes beschlossene Gesetz eine Initiative zu ergreifen. Diese Möglichkeit gibt es unter anderem in der Schweiz. Nachteil: Ein Gesetz trifft in der Regel immer erst nach einer gewissen Zeit in Kraft, solange nicht die Initiative dagegen ergriffen wird.

Als Alternative kann aber auch einfach das Referendum von oben eingeführt werden. Nachteil: Volksentscheide von oben bergen die Gefahr populistischer Vereinnahmung. Es obliegt der Parlamentsmehrheit, das Gesetz zu formulieren. Politische Spielchen sind damit nicht ausgeschlossen. Grundsätzlich sollten die Referenden von oben nur verbindliche Entscheidungen herbeiführen. Es müsste sich um konkrete Gesetze handeln. Und nicht, wie in Berlin auch möglich, über allgemeine politische Gegenstände der politischen Willensbildung. Das würde den Missbrauch, wenn man ihn denn befürchtet, verhindern.

Auf kommunaler Ebene ist die Erfahrung mit Ratsreferenden groß. Eine empirische Erhebung zur Wirkung und Anwendung kenne ich zwar nicht. Es gibt aber positive Beispiele: So haben die Reutlinger:innen ihre Entscheidung revidiert, kein „Kultur- und Konferenzzentrum“ haben zu wollen. Jetzt haben sie einfach eine „Stadthalle“. In vielen Gemeinden wird Bürgerbegehren, die formal unzulässig sein, abgeholfen, indem Bürgerentscheide per (2/3-)Mehrheit angesetzt werden. Wichtige kommunale Entscheidungen, wie Gemeindefusionen, sind häufig Gegenstand von Ratsreferenden. Eine Flucht aus der Entscheidung hilft der Sache nicht. Abstimmungen entbinden Regierende und Abgeordnete nicht davon, für eine Sache einzustehen.

„Fakultative Referenden“ würden sicherlich das Verhältnis zwischen Parlaments- und Volksgesetzgebung verschieben. Zugunsten letzterem. Referenden von oben würden der Regierungsmehrheit mehr Spielraum geben. Gleichzeitig gibt es berechtigte Kritik daran.

Eine leichte Entscheidung, welches Verfahren man auswählt, ist das also nicht.